Mit der Künstlichen Intelligenz ist es so eine Sache. Zunächst ist zu sagen, dass es sich um Etikettenschwindel handelt. Zumindest, so lange wir von der “schwachen KI” sprechen. Dabei handelt es sich um statistische Prognostik mit gewaltigen Mengen an Trainingsdaten und kontinuierlichen Rückkopplungsschleifen. Die Ergebnisse sind nichts desto weniger beeindruckend und sie sind vor allem eines, wenn man sie für sich zu nutzen weiß: KI ist effizienzsteigernd (nicht aber effektiv). Warum das ein potenzielles Problem ist? Das versuche ich in diesem Beitrag zu erklären.
KI ist effizient – und Effizienz ist aus der Zeit gefallen
Effizienz ist eine Kategorie der industriellen Moderne. Mehr noch: Sie ist Maßgabe, Ziel, Dogma. Das wirtschaftliche und letztlich omnipräsente Effizienzstreben basiert auf einer Weltanschauung Newton’scher Prägung, die von Adam Smith in die Wirtschaftswissenschaft übersetzt wurde und die mit dem Taylorismus eine Methodik hegemonialen Charakters ausprägte, die bis zum heutigen Tag einen Großteil unser aller Leben dominiert.
Disclaimer: Ab jetzt wird’s küchenphysikalisch. Ich bin leider kein Physiker, weshalb die folgenden Ausführungen zumindest unscharf (aber hoffentlich nicht komplett falsch) sind.
Die Effizienz ist treibende Kraft im Umgang mit unserer Zeit, was letztlich ein spannendes Paradoxon begründet. Denn mit Effizienz soll letztlich Zeit gespart werden, die an anderer Stelle investiert werden kann. Häufig wird diese jedoch mit noch mehr Effizienzbemühungen verbracht, anstatt der grundsätzlichen Wahrheit, dass das Ziel jeglicher Arbeit die Faulheit ist, zu gehorchen. Wir möchten ausgedehnter Zeiterfahrung (oder Unsterblichkeit oder Transzendenz, you name it) näher kommen und bringen uns auf dem Weg dazu als Spezies früher oder später um – und dabei kann die KI hervorragend helfen! Singularität ist dafür gar nicht erforderlich.
Der Taylorismus ist zeitlos
Denn das ganze Konzept der Moderne hat einen wesentlichen systemischen Blinden Fleck: So sehr der Taylorismus und seine Nachkommen (egal, ob Lean, Kaizen, OKR etc.) die Optimierung konkreter Zeitsegmente fetischisiert, so sehr befindet sich jedes dergerartete Konzept außerhalb der vergehenden Zeit generell. Oder, um mit Rifkin zu sprechen: Es hat in seiner Gleichung auf die Entropie vergessen:
Nochmals in aller Deutlichkeit: Marktgleichgewichtstheorie und Rationalisierungsprozesse stellen die Effizienz in den Mittelpunkt ihrer Gleichung und verschließen die Augen vor den thermodynamischen Implikationen negativer externer Effekte.
Jeremy Rifkin
Das Effizienz-Dogma basiert auf dem physikalischen Verständnis der Newtonschen Bewegungsgesetze, in dem Prozesse in alle – auch umkehrbare – Richtungen möglich sind. Das macht das Konzept, im negativen Sinne, “zeitlos”. Damit ist gemeint: In sich konsistent, aber außerhalb oder abgekapselt von der generell vergehenden Zeit. Umkehrbarkeit ist im Rahmen der generell vergehenden Zeit jedoch nicht möglich.
Das kümmert die Thermodynamik wenig
In der Thermodynamik hingegen spielt das Vergehen der Zeit (das Vergehen generell, im Sinne von unverfügbar werden) eine entscheidende Rolle. Diese besagt unter anderem und stark vereinfacht, dass Energie weder erzeugt, noch verloren, sondern in geschlossenen Systemen nur von einer Form in eine andere umgewandelt werden kann. Das würde den Logiken des Taylorismus gedanklich ja noch nicht widersprechen. Heikel wird’s jedoch bei der Entropie. Energie strebt der Entropie zu, also dem Chaos. Auch wenn die Energie im System nicht verschwindet, wird sie dennoch unverfügbar. Dieser Prozess ist grundsätzlich unumkehrbar. Sich gegen das Chaos zu stemmen, wird aber immer schwieriger, wenn wir immer schneller immer mehr davon produzieren – und sei es, beim Versuch, immer mehr Ordnung zu schaffen.
Effizienz geht zu Lasten der Resilienz
Was bedeutet Effizienz aber noch? Effiziente Unternehmen und Prozesse haben auf Redundanzen, Puffer und Alternativen verzichtet, um möglichst effizient zu werden. Die multiple Lieferkettenproblematik, die mit der Corona-Pandemie offenkundig wurde oder hocheffiziente Monokulturen, die besonders “einfach” durch Schädlings- oder Pilzbefall in ihrer Existenz bedroht sind, verdeutlichen dieses Prinzip. Effizienz geht zu Lasten der Widerstandsfähigkeit und das in einer Zeit, in der alle von Resilienz und überlebensnotwendigen Anpassungen sprechen. Effizienz und Resilienz verhalten sich tendenziell reziprok.
Effizienz bringt uns um
Effizienz arbeitet also auch daran, möglichst rasch möglichst viel Entropie zu erzeugen. Am deutlichsten wird dies wohl mit Blick auf das Karbon-Zeitalter und den menschengemachten Klimawandel. Dieser ist nicht zuletzt eine Folge des Effizienz-Dogmas, das uns immer effizienter dem Chaos, von verfügbar zu unverfügbar, näherbringt. Dem Taylorismus war das egal, den kümmerte die Thermodynamik nicht, was aber wiederum die Thermodynamik nicht im geringsten juckt.
Nichts entwickelt sich linear (KI kann aber nur linear)
Wir sind versucht, alle Entwicklungen a posteriori als linear zu verstehen, als logische Abfolge, die so kommen musste. Nicht nur, dass das grundsätzlich nicht stimmt, verleitet es auch dazu, diese vermeintliche Linearität in die Zukunft fortzuschreiben. So funktioniert auch die Künstliche Intelligenz, wenn sie prognostiziert. Das Problem: Nichts entwickelt sich linear. Sobald eine wesentliche Veränderung eintritt (und das passiert ständig), sind selbst die besten Prognosen passé. Es gibt halt so viele, dass auch ein blindes Huhn mal ein Korn findet. Das ist nicht wirklich intelligent.
KI hat keine Ideen
Tatsächliche Intelligenz ist jene Kompetenz, die man anruft, wenn man nicht weiß, was zu tun ist. In linearen Entwicklungen wüsste man das aber stets. So werden etwa, meint Thomas Ramge, Künstliche Intelligenzen auch niemals Unternehmen führen können, da sich dafür nichts verändern oder nichts Unvorhergesehenes passieren dürfe.
War in der Moderne bislang also die Effizienz maßgebend, so muss es zukünftig die Resilienz sein. Hier sollte noch erwähnt sein, dass Resilienz besser als Anpassungsfähigkeit, denn als Widerstandsfähigkeit verstanden ist, da die Anpassungsfähigkeit die Veränderung in sich aufnimmt und mit ihr agiert, während die Widerstandsfähigkeit gegen sie arbeitet. Naja, egal. Jedenfalls: Das Feld einer KI zu überlassen, würde solange die Effizienz steigern, bis die Anpassungsfähigkeit endgültig verloren gegangen ist – oder wir uns fleißig das finale Chaos erarbeitet haben.
“Warum”, nicht “Wie”
Ist Künstliche Intelligenz also des Teufels? Nein, aber sie ist schwach. KI hat keine Ideen. KI ist nicht originär. Sie ist ein guter Ausführungsgehilfe, der uns von Tätigkeiten, die in der Schnittmenge zwischen Mensch und Maschine liegen, entlasten sollte. Sie kann uns auch, wenn wir uns ihrer Limits bewusst sind, beim Treffen von Entscheidungen diagnostischer Natur helfen. Sie kann Muster kenntlich machen, die bisher vielleicht verborgen blieben und vieles mehr – kurzum: Ich bin großer Fan!
Was sie aber nicht kann, ist, unsere großen Probleme für uns zu lösen. Sie ist ein Kind ihrer Zeit. Also jener Zeit, die Zeit nur als einzelne, abgekapselte Segmente einpreist und die für die Zeit als eine vergängliche blind ist. Davon kann sie sich nicht emanzipieren.
Innovation funktioniert aber auf kreativem, originärem Wege, nicht als Wenn-Dann-Funktion. Die beste KI hilft uns nicht, wenn wir uns unserer Werte und Ziele nicht bewusst sind. Das “Wie” wie auch das “Was” sind sicherlich Stärken künstlicher Intelligenzen, das “Warum” jedoch nicht.
Und wovor wir uns nicht fürchten sollten, ist, dass die Singularität, die „starke KI“, davor steht, den Menschen auszulöschen. Das kriegen wir nach aktuellem Stand schon ganz alleine hin, mit der KI wohl noch etwas effizienter als ohnehin schon.
Als weitere Lektüre kann ich folgende Bücher empfehlen: