Zukunftsforschung

Nun ist es über ein Jahr her, seit ich hier das letzte Mal etwas geschrieben habe. Das ist der geneigten Leserin oder dem geneigten Leser dieses Spartenprogramms nicht aufgefallen? Kein Problem, mir zunächst auch nicht. Was sich in der Zwischenzeit verändert hat? Viel. Zwischen der ohrenbetäubenden Stille und dem sich beschleunigenden Verharren der letzten Monate vor allem eines: Die Perspektive, die ich einnehmen will. Ich studiere deshalb seit 2020 Zukunftsforschung.

Dabei steht der Fakt, dass ich mich nun sozusagen offiziell der Zukunftsforschung widme, nicht am Beginn einer neuen Entwicklung. Es ist vielmehr eine von mir gezogene Konsequenz, um aus einer impliziten nun auch eine explizite Richtung zu machen.

Zunächst gleich der Downer vorne weg: Was die Zukunftsforschung sicherlich nicht kann, ist die Zukunft zu erforschen. Das klingt vielleicht paradox, auf den ersten Blick sogar sinnlos, ist aber naheliegend. Wie soll etwas Nicht-Existentes, wie die Zukunft, auch zu erforschen sein? Insofern ist der Name für eine Disziplin, die nach wie vor um ihre eigene Identität ringt, vermutlich irreführend. Aber auch das ist in Ordnung, denn – manchmal gibt es so pointiert-bestechende Erkenntnisse, die einem dargereicht werden und sich für die eigene Ewigkeit einbrennen; die folgende ist eine solche:

Kultur ist eine defizitäre

Kultur muss immer als eine defizitäre gedacht werden. Ist diese Erkenntnis nicht fantastisch? Ich werde Gerhard de Haan vermutlich noch lange dafür dankbar sein… Insofern darf auch eine Disziplin defizitär sein. Sie muss es sogar, aber wer strapaziert denn schon gern seine Defizite? Gar als Rechtfertigung? Dabei sind die Defizite bzw. die Behebung dieser letztlich der Antrieb allen Fortschritts. Und das ist doch wieder mehr als stimmig für eine Wissenschaft, die sich mit dem Zukünftigen auseinander setzen möchte.

Warum die Dinge nicht mehr so sind, wie sie sind

Expliziter Ausdruck einer welchen impliziten Entwicklung in mir soll die Hinwendung zur Zukunftsforschung nun aber sein? Zunächst: Ich bin im Wesentlichen (De-)konstruktivst und habe mit großer Freude unter anderem Politikwissenschaft studiert. Folgerichtig haben mich dabei alle möglichen Arten von sozialen Konstruktionen am meisten fasziniert: Identitäten, Gesellschaft, Ideologien zum Beispiel. Meine zu Grunde liegende Motivation war dabei immer zu dekonstruieren, um Dingen auf den Grund zu gehen. Zu verstehen, warum die Dinge so sind, wie sie sind. Ich wollte also gewissermaßen vom Vergangenen auf das Gegenwärtige schließen, um letzteres zu durchdringen oder vielleicht mehr noch: zu ihm durchzudringen. Das fasziniert mich auch nach wie vor. Und dennoch.

Perspektivenwechsel

Bereits während meiner jüngeren Beiträge habe ich gemerkt, dass ich meine Perspektive kontinuierlich verändert habe. Die Bücher, die ich las, die Gedanken, die ich mir gemacht habe, all das hat sich ein wenig verändert. Zweifellos wollte ich immer noch verstehen, warum die Dinge sind, wie sie sind. Noch mehr aber habe ich begonnen, mich dafür zu interessieren, wie die Dinge werden können. Das (zu) Gestaltende nimmt eine größere Rolle ein als das Gestaltete. Dabei hat mich der gleichermaßen lohnende, wie zum Scheitern verurteilte Versuch, mögliche Zukünfte zu skizzieren, ganz schnell Demut gelehrt…

Scheidepunkte der Geschichte

…ist es nicht ohnehin gerade jetzt, in dieser ganz speziellen Zeit, an diesem Punkt der Geschichte, an dem wir uns aktuell befinden, nur logisch, konsequent, fast schon intrinsisch zwingend, sich besonders intensiv mit der Zukunft zu beschäftigen? Logisch, konsequent, zielführend: ja. Zwingend: vermutlich. Besonders: wohl eher nicht. Wenn man einen Blick in die Historie (der Zukunftsforschung) wirft, erkennt man zwischen allerlei Irrungen und Selbstzerfleischung der Protagonisten nämlich vor allem eines: Bisher haben sich noch alle zu jedem beliebigen Zeitpunkt der Geschichte als an einem gerade ganz zentralen Scheidepunkt ersonnen. Auf sich selbst bezogen mag das sogar stimmen. Die Erkenntnis, dass dem im größeren Zusammenhang in den seltensten Fällen aber tatsächlich so ist, verkraften unser allersamt Egos vermutlich nicht allzu gut.

Zukunftsforschung, also? Aha. …und, was soll nu‘ werden?

Tja, das ist tatsächlich die Frage.

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